Speaking In Tongues
Guided by Voices

Anna Glazova

Mond und Sohn

 

 

 

Vorwort zu "Mond und Sohn"

 

 

Es scheint mir, daß man die Erzählung "Mond und Sohn" eher als ein überlanges Gedicht in Prosa lesen sollte. "Mond und Sohn" ist auf keinem Sujet, eher auf einem poetischen Gedanken aufgebaut, und Abenteuer, wenn überhaupt, finden auf einer metaphysischen Ebene statt. Das Leitmotiv dieses Stücks, so scheint es mir nach einiger Überlegung, ist ein Versuch über eine unmögliche Synthese – im Text ist ja alles erlaubt, so versuchte ich, eine textuelle Welt zu erschaffen, in der es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen der toten und der lebendigen Materie gibt; das Organische und das Unorganische befinden sich in ständiger Wechselwirkung und sind in demselben Kreislauf der Materie miteinander verbunden. Die Genesis unserer gewöhnlichen, man möchte auch sagen – kartesianisch-darwinistischen, Welt könnte im folgenden Schema dargestellt werden:

 

 

tote Materie ® organisches Leben ® gedankenloses Tier ® denkender Mensch

 

 

Die Genesis in meiner imaginären Welt sieht anders aus, alle diese Komponenten verschmelzen zu einem indeterminablen Gebilde, wie eine Halbkartoffel-Halbfrau (Gertophia) oder ein Halbgespenst-Halbeisenschrank (Solon). Am Anfang der Welt in "Mond und Sohn" ist der Traum. Diese Idee ist nicht originell (so weit es überhaupt etwas Originelles geben kann), sie kommt in vielen Mythen verschiedener Traditionen vor, am ausdrücklichsten von den mir bekannten vielleicht in einer buddhistischen Auffassung. Nach diesem Mythos ist die Welt ein Erzeugnis des Traums: während der Buddha schläft, wächst und blüht auf ein Lotus in seinem Nabel; unsere Welt ist eben diese Schlafblume. Die Göttin, die Buddahs Schlaf überwacht, hat die Macht, Buddha zu wecken und den Traum, damit auch die Welt, zu beenden. Diesen Tropus der Welt als Traum wurde von James Joyce in Finnegans Wake aufgegriffen. Joyces Welt, oder "Chaosmos", wie Umberto Eco sie nannte, ist der Traum des Giganten Finnegan, der entweder schläft oder tot ist. In "Mond und Sohn", der Träumer ist kein Mensch, sondern ein mechanisches Gehirn. Auf seinen Ursprung gehe ich im ersten Kapitel ein. Das Gehirn ist nicht konstruiert, sondern entsteht aus dem kosmischen Zeugungsakt: ein Spermatozoid, der in den Mondkratern erzeugt wird, dringt in Form eines Meteorits in die Gebärmutter der Erde, die sich auf dem Ozeansboden befindet. Als die pränatale Entwicklung des Gehirns zu Ende ist, wird es geboren: es steigt aus dem Wasser aufs Land. Sobald es geschehen ist, fängt das Gehirn zu träumen an (das zweite Kapitel). Es träumt die Welt und ihre Genesis. In seinem Traum entsteht ein Universum, das mit dem Rahmen des Schlafs eng, fast klaustrophobisch begrenzt ist. Da das Gehirn ein mechanisches ist, besteht seine Traumwelt aus mechanischen Elementarteilen, ja die ganze Evolutionskette basiert auf dem Mechanischen: eine Ratte oder ein Fisch entstehen auf einer Werkbank oder einem Webstuhl. Ich glaube, in diesem Falle bin ich von dem naiven menschlichen Sentiment im technologischen Zeitalter nicht frei, das sehr klar in Philip Dicks Roman "Do Androids Dream of Electric Sheep?" geschildert ist – etwa in der Gestalt einer elektronischen Kröte, die sich von elektrischen Fliegen ernährt. Es werden mehr "natürliche" Züge den Maschinen zugeschrieben, als es nötig ist, um eine funktionierende "Robotik" (Dicks Begriff) für Menschen herzustellen. Und tatsächlich: die SciFi Bücher und Filme zeigen eine Besessenheit mit antropomorphen Robotern, die man kaum von Menschen unterscheiden kann. Der Antropomorphismus ist das einfachste, sicherste und älteste Modell der Welt; so ist Christentum; so waren auch die älteren Götter, etwa die altägyptischen, mit dem Vorbehalt, daß sie zusätzlich zu den menschlichen auch tierische Züge aufwiesen. In meiner Erzählung kann man über die Natur der Helden sagen, daß sie in sich drei Elemente vereint: das menschliche, das tierische bzw. allgemein organische und das unorganische bzw. künstliche. So ist, zum Beispiel, der Mond zu einem Anteil eine Deckenleuchte, die an einer Schiene gleitet, zum anderen aber – eine melancholische Frau. Dieses Motiv verwendete Kafka oft und meisterhaft, etwa in "Die Sorge des Hausvaters", wo er von Odradek erzählt, einer sprechenden uralten Zwirnspule, die kindliche und greisenhafte Züge hat, und doch ausgesprochen unorganisch ist.

Ich ahme Finnegans Wake noch in einem wichtigen Aspekt nach. Das joyceanische "Chaosmos" entwickelt sich nach dem Modell, das Giambattista Vico in 1744 in "Scienza Nuova" beschrieb. Nach Vico geht jede Zivilisation in ihrer Genesis durch drei entscheidende Perioden: die Ära der Götter, der Helden und der Menschen. Finnegans Wake spiegelt diese Konzeption in der formellen Struktur wider: es ist auf vier "Bücher" aufgeteilt, Book of Parents, Book of Sons und Book of People, denen ein Epilog mit dem Titel "Recorso" folgt. Nach Vico endet jede Volksgenesis dort, wo sie anfängt, und Recorso führt zum Ausgangspunkt zurück, wo die Genesis aufs Neue anfängt. "Mond und Sohn" besteht auch aus vier Teilen: "Das mechanische Hirn" entspricht der Ära der Götter, "Die Geburt des mechanischen Traums" der Ära der Helden, "die Geburt der Helden" und "Das mechanische Theater" der Ära der Menschen und "Der Allbeischlaf" – dem Recorso. Ich meine es aber nicht so ernst wie Vico, und der Gedanke, mit Joyce wettzulaufen, ist mir genauso fremd wie er auch absurd ist, aber in gewisser Hinsicht lege ich auch ein Kommentar zu den Werken der beiden Autoren ab. Die Stelle der mythischen Helden nimmt der mechanische Traum bei mir ein. Die Ära der Menschen mache ich zur Ära der Helden – nicht der mythischen, sondern der literarischen. Damit sage ich aus, das die Menschen nichts anderes als Fiktionsfiguren und nach ähnlichen Prinzipien zusammengefügt sind. In "Das mechanische Theater" beschreibe ich das menschliche Handeln, das, wie auch der Titel aussagt, ein Theaterdrama und eine sehr idiosynkratische Leseweise von Shakespeares "Hamlet" ist: der Sohn Selen ist eine Anspielung auf Hamlet, der Vater Solon – auf seinen ermordeten Vater und Gertophia repräsentiert Ophelia und Gertrud zugleich. Ich überlasse es dem Leser, die Allusionen auf "Hamlet" zu rekonstruieren, da es vielleicht der einzige Spaß an der Lektüre ist. Von meiner Seite füge ich noch zu, daß ich dabei viel mit freudschen Konzeptionen wie Ödipus- und Elektrakomplex und seiner Auffassung des Fetischismus spielte.

Wie in "Recorso" führt das Ende der Geschichte an den Anfang zurück: nach drei Entwicklungsphasen fällt die erträumte Welt zusammen – was am Ende, wie Physiker behaupten, auch mit unserem wirklichen momentan auseinanderfliegendem Universum passieren wird. In Finnegans Wake assoziiert Joyce diese Wiederkehr mit einigen mythischen Motiven, von denen der biblische Fall aus dem Paradies das führende ist. "Mond und Sohn" wird von einer Verschmelzung aller Materie abgeschlossen, einem allgemeinen Koitus, der mit der Kopulation des Mondspermatozoids und der Ozeanseizelle am Anfang korrespondiert.

Es sei noch ganz am Rande gemerkt, daß die Sprache in "Mond und Sohn" vielleicht als eine ohne Not komplizierte vorkommt, aber es war das beste, was ich in der Anstrengung schuf, einen tiefen und merkwürdigen Schlaf in einer Art oneiristischen Schreibens zu schildern; auf dasselbe Ziel ist auch die Kleinschreibung gerichtet. Für einen Teil der Erzählung benutze ich die Großschreibung, und zwar dort, wo es um die Menschen geht, in "Die Geburt der Helden" und "Das mechanische Theater". Substantive sind in diesen Abschnitten deshalb großgeschrieben, weil es nach der Bibel die Aufgabe des Menschen war, die Namen zu geben; nur in diesen Abschnitten verfügen die Helden über die Sprache.

 

AG

 

 

 

 

MOND UND SOHN

 

 

DAS MECHANISCHE HIRN

 

 

auf den blauen ozeansboden legt sich ein vielschichtiger satz: die langsam entstandenen (noch vor der vollständiger mutation des auges) hüllen des dritten augenlids eines reptils, ein gewölbter amphibienschwimmer, segmente eines unvollkommenen nervensystems einer schlange, pflanzendünger und tierenhumus, sonnengeflechte menschlicher zerebralen paralyse und geschwollene hydrozephale geschlechtsorgane niedriger primaten; sich von dem mutterobjekt loslösend, absplittend, abhäutend, abstrahierend, absondernd, verfremdend sanken díe proteinschichtungen, die eiweißketten durch das weiche und dichte salzwasserplasma auf den tiefsten blauen boden. dort legten sie sich dünn aufeinander, verschmolzen, vermischten, vermengten sich, verloren dabei ihre eigenschaften und merkmale, ihre zusammensetzung veränderte sich, einige fragmente ihrer aminosäuremolekülen ersetzten einander, sodaß sie zu einer homogenen biomasse wurden, die die saure, flüssige unterwasserluft einatmete und zischende, rauschende bläschen des stoffwechsels ausschied, indem sich ihre brust hob und senkte, indem sie fische verschlang und fische stillte. über dieser sich wiegenden masse schwankte unaufhaltsam das dunkle, oben etwas hellere wasser voll wirbelnden ozeanischen staubs, und es druckte und preßte mit einigen atmosphären auf den gelblich-bläulichen ozeansboden. sich einbiegend, sich mit dem schwammig pulsierenden fleisch an den sand anschmiegend, pulste langsam das verträumte ozeanschoß, schrumpfte, enfaltete sich, sharrte den roten ozeanssand mit dem riesigen schneckenfuß, leuchtete schwach mit einer gasähnlichen bläulichkeit der unterwasserfluoreszenz.

von innen mit perlmutter und zerriebenen häuten der seesterne vergoldet, entwickelten sich die fallopischen tuben der langsamen subozeanischen gebärmutter, sie waren wie bewegliche glocken in lauer flüssigkeit und regten sich wie aktinien in der flut; an ihren öffnungen wirbelte wasser mit salz, algenresten, pulverisierten krebspanzern, dem samen der zweigeschlechtigen fische, dem rogen des seepferds und den härchen des seekohls. vor jeder tubenöffnung wuchs je ein trichter, der eine drehte sich in uhr-, der andere - in gegenuhrzeigersinn. die eingesaugten gegenstände blieben in wirbeln gefangen, neue fleischstückchen wurden von ihnen hineingezogen, dorthin, wo sie sich verdichteten, zusammenpreßten, miteinander verwuchsen und zusammenklebten, bis sie zwei schlaffe, blaßfarbige sphären bildeten. von den gebogenen offenen tubenarmen geführt, drehten sich die kugeln, die schwerer, dichter und materieller wurden, langsamer in den lockeren manschetten, drehten sich stufenweise, in einem glatt ansteigenden rhythmus. flut und ebbe brachten das straffe fotosynthetische muskelgewebe ins schwingen, es vibrierte in antwort darauf und erzeugte dabei wellen, tsunami, taifune, weite fluten, einsaugende ebben. der mond blinzelte tödlich durch die wassertiefen, und in den mondkratern legten sich wilde blutrote schatten. unter dem einfluß der sonnenstrahlen fingen die kerne an, sich in den kugeln herauszukristallisieren. sie sammelten wärme, gaben geburt dem heißen epithel und drückten in ihrem inneren die materie zusammen, so daß ihre kleinsten teile zerfielen, in einander eine kettenreaktion erzeugten, schwirrten und ausstrahlten und wieder ihre eigene wärme einsogen, die wärme, die zwischen dem trockenen sonnenlicht und dem feuchten aufblitzen des monds entstand.

 

 

durch die halbdurchsichtige materie der eierstockkugeln leuchtete es dunkelrot. unter der hitze des inneren kerns schmolz, riß und gerann die äußere schale. die drehung hielt fast ein. die ozeanischen unterwasserströmungen schälten die angebrannte eierstockrinde, lösten schüppchen nach schüppchen ab und brachten sie, halbverwaschen, in die oberen schichten der hydrosphäre. die fertigen, roten eizellen schlüpften aus der dunklen harten schale. das weiche tiefwasserschoß wölbte sich rosarot, öffnete sein klaffendes innere und fing an, die beiden eizellen einzusaugen. sie streckten sich, formten zwei ovale und wurden in die manschetten eingesogen; kurz vor dem eingang in die poröse, mit bleichem flimmerhaar und fühlern bedeckte gebärmutter stießen sie zusammen und zersprengten das unterwasser, und die erzeugte welle rollte sich über den boden mit bläulich-gelber ausstrahlung, die zellen wurden zu einer kleinen roten spore, die in ihrer form einer sechsstrahligen sonne glich. die gebärmutter sog diåsen samen ein, ihre arme fielen willenlos auf die wärzchen und härchen auf ihrer brust, ihre agonisierenden bewegungen hörten bald auf, die arme starben ab, zersetzen sich und wurden plankton, die gebärmutter schluckte und verdaute es. die anschwellenden eizellen nahrten sich von dünnen mondlichtfäden und dichtem sonnenlichtlaub. als die gebärmutterder wuchs und schwoll und zu einer weiten klippe wurde, als sie mit ihrer masse das ozeanniveau emporhob, nahm der starr gewordene volle mond immer zu, so daß er sich in drei mondmonaten auf das dreifache vergrößerte, die roten schatten legten sich tiefer und schärfer in die hohlstrukturen seiner krater; so schienen sie geronnenem venösem blut ähnlich. eine spalte schnitt tief durch die mitte des mondgesichts. im zentrum hatte die spalte ein auffalendes rautenförmiges loch. um den mond formte sich eine schwarze krone, die ab und zu sich schlängelnde protuberanzen ausstieß; sie flogen ab und rasten im himmel hin und her gleich wilden, ausgerasteten würmern. während der finsternis, als die sonnenscheibe mit dem mondschatten vollkommen überdeckt wurde, spritzte ein kochender lavastrahl aus dem unruhigen korn durch das rautenloch, erstarr im kosmos zu einem länglichen metallenen tropfen, der einen schmalen schweif besaß, und fuhr mit rasender geschwindigkeit zur erde. sobald der heiße kosmische spermatozoid in das ozeanswasser schlug oder, nahm seine geschwindigkeit ab, während er das wasser durchbohrte, zischte und kühler wurde. er drang durch die meerestierkörperchen, stoß gegen die kliffen und veränderte dabei seine plastisch gewordene form; zu dem zeitpunkt, als ihn die öffnung in dem sich konvulsiv regenden ozeansschoß einsog, glich seine form einem doppelten zahnrädchen, dessen scheiben sich an einem gürtelchen der kugellader festhielten. das schoß zuckte zusammen, schluckte das zahnrad, fing an zu schrumpfen und legte sich langsam wieder auf den boden. dort, im gedämpften unterwasserdunkeln, schmolz das zahnrad zusammen mit der sechsstrahligen pore. das schoß bedeckte sich mit elektrischen rochen und ließ sich vom schwachen elektrischen strom durchlaufen.

tiefwassermollusken klebten sich in großen massen an die öffnung; später wurde sie von gelben korallen bedeckt, damit das schoß eine festgelegte zeitlang versiegelt bleiben konnte. das zahnrädchen fiel auf die pore, auf den kreis und die strahlen, die weich und nachgiebig waren; gleich darauf befreite sich das rädchen von der ersten schicht (sie löste sich im sauren weißen blut, den der sechseckige stern ausschied), dann befreite es sich von den kugeln (sie fielen, eine nach der anderen, ins zentrum des kreises und verschwanden dort mit stummem platschen), und schließlich breitete sich auch die letzte außenschicht mit all seinen öl- und schmiertropfen auf der geschwollenen zellenoberfläche aus und bildete eine schutzschicht für den zukünftigen fötus.

als diese dünne hülle die zelle völlig verdeckte, setzte der gewaltige wachstums- und teilungsprozeß ein. es eilten kleine schiffchen hin und her, es vibrierte der doppelt geflochtene spiralfaden, das gewebe wurde gestopft, geschnitten, wuchs wieder zusammen, die nadeln sprangen, die ecken wurden zusammengenäht, die kurbeln klopften, als sie in der höchsten position ein wenig zögerten, die spindel drehte sich, zog den faden, es klapperten die klemmen des webstuhls, es fuhren vorbei die scherenschneiden, sie schnitten, umschnitten, ausschnitten das fleisch, und die fleischfetzen wurden zu fäden verarbeitet und wieder verwendet. die vorderen lappen wurden bald verfertigt, das kleinhirn allerdings blieb mittlerweile mit einem roten faden erst angedeutet. die nadeln spritzten blut in das tiefste innere der gebärmutter; auf ihrem schlaffen boden sammelte sich eine pfütze an, aus der von nun an die buchsen, nicht die nadeln, den langen weinroten faden zum fötus hinüberzogen und damit die eisenkonstruktionen, das hirnskelett mit halbdurchsichtigen roten windungen umwoben. die hinteren hirnsektionen leuchteten schon mit dem gelblichen licht der besinnung, die feuchte elektrizität lief durch die farbigen ringelleitungen der nerven, hie und da zerteilte ein kurzschluß das wasser mit einem kleinen zischen. die breite platte, bunt und beidseitig pünktchenbesät, wie die arbeitspalette eines miniaturisten, wuchs zwischen die vorderlappen hinein. die schiffchen mit den spulen, die vor niederfrequenz schwirrten, sprangen an die platte heran, um einen violetten, orangenen, hellblauen tropfen dazuzugeben; manchmal blieb ein schiffchen in den herausragenden nackten kontakten stecken – dann explodierte eine trockene entladung, und das verbrannte schiffchen sprang auf den boden ab, um sich in der wachsenden pfütze zu zersetzen.

die produkte der hydrolyse wirbelten im dunkelgrünen wasser. an den dicken seilen auseinadergezogen, die aus zuverlässig verflochtenen augennerven und lichtfasern bestanden, schwebte ein mechanisches gehirn in den unterwasserwellen. aus der halbdurchsichtigen platte, die von ganglien verstärkt wurde, bildeten sich die flimmernden hirnrinde und

-häute. der mit den rosagelben korallen zugewachsene gebärmutterhals began sich elastisch auszuschlagen, die korallen fielen ab, die wasserströmung wischte sie weg, die gebärmutter fing an, die strömung geräuschvoll einzusaugen. in diesen starken und geschmeidigen wasserstrahlen empfing das gehirn einen zentripitalen stoß und wurde in die drehbewegung versetzt, es drehte sich um die imaginäre achse, die in die gebärmutteröffnung gesteckt stand. im drehverfahren lockerten sich die klemmen, mit denen die seile sich am gehirn festhielten, und die bläschen der organischen saugmünder ließen das gehirn los. es enstand ein mächtiger strudel, das gehirn drehte sich in ihm immer schneller, die gebärmutter dehnte sich im bereich der öffnung aus, das gehirn schoß aus ihr und riß mit sich einen großen schleif heraus, der aus wasser, sand, organischen und mechanischen überresten bestand; danach fiel in einem rosthaufen das ganze meeresschoß heraus und begrab unter seiner mürbigen fleischmasse einige tiere, die bisher an der saftigen plazenta parasitierten. den wasserspiegel quer durchschneidend, stürzte sich das gehirn in richtung urstrand, erzeugte dabei turbulenzen und gewitter.

mit einer großen woge wurde es auf das festland geworfen; seine feuchte oberfläche strahlte in der sonne, die algen, die an ihm kleben geblieben waren, streckten sich hinter ihm bis zur wasserkante aus. auf dem strand gelandet, fing das gehirn an, schößlinge in das land und das wasser zu treiben. die fotosynthetische aktivität pulste unter der hülle, blaue gestalten spiegelten sich in der halbdurchsichtigen innenschicht der hirnhaut. eins nach dem anderen schlüpften zwei fotoaugen. die hirnwurzel drangen tiefer und tiefer, bis sie sich zu einem kochenden kern im erdezentrum verknäulten. und diese ganze zeitlang beleuchtete der verblaßte mond nachts den wüsten strand und die unwahrscheinliche hirnlandschaft.

 

 

 

DIE GEBURT DES MECHANISCHEN TRAUMS

 

 

die braunen, schleimigen mauern des untergrundflurs eigneten sich gut für spaziergänge zu zweit, auch wenn die passanten einander unbekannt waren. sie flanierten zwischen den wänden, durch surrealistische Züge des Halbschlafs geprägt ihre eigenschaften waren kaum vom traumsurrealismus definiert. durch die spalten, wo die nassen wände nicht ganz miteinander verwuchsen, sickerte regen und verwaschenes licht durch sie. in der mitte, von den darmmuskelwänden umringt, sammelte sich ein seichtes grünes gewässer. der wind und die scheinbare navigation blühten auf. manchmal eine feindliche oder eine allierte flotte zog vorbei. durch den unbeständigen wasserspiegel ließen sich die steinblöcke sehen, ihrer farbe nach glichen sie einer entblößten drüse, einer gekochten lunge. blasse härchen regten sich, stachen aus dem wasser hervor, griffen nach den passanten, zogen sie mit sich fort. die stummen passanten mit großen augen flogen knapp über dem wasser hinüber, rißen ihre waden von den behaarten tentakeln los und rutschten kraftlos auf die uferkante ab. dünne scheckige wellen platschten gegen stein. die geflochtenen, dicken, weißen seile schmiegten sich an zwei stellen an den waden, hielten sich fest an den wänden, zeigten auf zwei runde luken, zwei schwindelnd hohe fenster oder spiegel. die seilknoten, die vom innenimpuls gelenkt wurden, schwankten manchmal hin und her, dann sprang in ihnen ein wilder strom herum, dessen blaue blitze den passanten keine chance ließ, ihre müden rücken für ein weilchen an der wand zu stützen. die augennerven schwankten, wie losgelassene seile im sturm. die netzhaut flimmerte mit spiegelungen umgeworfener räume. die augen blinzelten verschlafen, zweimal, dreimal, und die metallene dunkelheit senkte das hirn auf der isolierten draht mit viel geräusch hinunter. es legte sich auf den porösen, gewellten, blauen bodenbelag des schlafs.

 

 

das mechanische hirn legte seinen folgsamen körper ins bett. der körper lag still. das müde hirn gab sich der organischen schlafwelle hin. die ausgediente flüssigkeit stieg hoch, sickerte aus dem ohrkanal, die zahnrädchen verließen ihre angebrüteten plätze, ließen dabei einige überflüssige kugeln fallen, glitten von der blinden achse ab und fielen selbst in das gehäuse des schlafs. eine schwielige kurbel schlüpfte aus, ein knie brach ab, indem es einige tropfen gelenkschmiere verlor. die lösung wurde trüb mit blutrost, warmer dampf stieg auf. ein organischer geruch ersetzte das metallische gerassel. die nadel sprang von der platte ab; blasse lebendige fäden vermehrten sich, wie spinnengewebe im herbst, umwoben alles im wege stehende, verbreiteten sich, ein schwacher, feuchter strom erfüllte sie. immer schneller drehten sich, verwickelten sich umeinander, um sich selbst die spiralen; die hin und her, nach oben, nach unten eilenden zellen beschleunigten sich, mal auf, mal ab; die chromosomen transportierten die nötige information, ihre beinchen fielen ab und krümmten sich wie neugeborene rädertierchen. die spiralen halbierten sich und wuchsen wieder zusammen, dann drehten sie sich zu einem dicken, tief vibrierenden faden zusammen. die spindel hüpfte auf einem dünnen beinchen, das schiffchen lief los und fing an, mit ruhigem getöse das glatte fleisch zu weben. die höhle schwoll an, luftbläschen verhüllten ihre nasse innenseite. die chorde, die mittellinien, das weiße fleisch, das nach tran roch, der bauch, der mit teer getränkt war und mit mollusken bedeckt: der fade fischkörper wurde in knoten gebunden – der fisch schwebte in der mutterlösung, im geschwollenen leib, das eisen, säure, amor matris, gift, sonnenlicht aufsog. der embryo mit den traurigen augen eines fremden drückte mit kleinen händchen auf seinen schmerzhaft wachsenden kopf. der fischschwanz entwickelte sich zu einem schillernden kamm, eine eidechse riß ihre trüben augen in der kaum durchsichtigen eiweißlösung auf. mit einem langen basilikenfarbenen blick tötete sie den fisch, der seinen langen mund mit weißlichen dicken lippenecken verzog und den reptilschwanz mit dem samtenen, unebenen zahnfleisch, als auch mit dem arsengiftzahn zerquetschte. das chamäleon schluckte gierig die luftbläschen, öffnete weit seine wimperlosen runden augen zwischen den falten, schwang sich an der nabelschnur des schlafs. der rost, mit dem eines der zahnräder am bolzen haftete, wurde schließlich von ätzendem säuredampf zersetzt; das zahnrad fiel in die höhle, in der das protein und die lebenden zellen sprudelten. mit rascheln und rauch sogen die farbigen klumpen das stück eisen ein. ein weichschäliges ei stieg unter chamäleons haut auf, sank wieder ins innere; in den sauren beidlebigen eingeweiden fing das süße taubenleber an, zu pulsieren, machte den blut gerinnen, tat weh.

 

 

die schmerzen brachten das chamäleon zum singen. der erste laut ergoß sich über der heißen schwefligen oberfläche. als das chamäleon seine eigene stimme gehört hatte, hetzte seine schreiende leber es dazu auf, daß es die stimme im geschwollenen inneren mit speichel entfaltete. das inwendige stöhnen erweckte fast das schon eingeschlafene mechanische gehirn, die verbrennungskraftmaschine schüttelte das schoß auf, die schwungräder rührten sich und drehten sich im leerlauf, ein harter strahl treibstoff wirbelte im blut der unterentwickelten formen, das unklare gefühl der abhängigkeit goß sich in ihre gehirne hinein, verkroch in die zellkerne, und ein niederschlag der selbsterhaltung legte sich dort auf die lauer. das nervengewebe wurde gnadenlos zerrissen, der schlangengift und der animalische geruch schmolzen in der ätzenden alkali-azidität der atmosphäre, aus ihnen entstand ein mechanisches gerassel. die neuronen trieben knospen, blasse zuckende fühlerchen, in ihrem inneren schlug ein weißlicher flüssiger strom. in den körpertuben einer ratte wurde das ei unruhig, es fiel ihr in den magen, stieg langsam, drückte dabei auf die harnkanäle, brachte einen herzschlag in die bisher leeren blutgefäße. die ratte öffnete das verständige rechte auge voller todesleid auf seinem boden. ihre angeborene weiblichkeit färbte ihre speichel mit bitterkeit und zog ihre backenknochen zum spitzen gerüst einer rattenschnauze zusammen. die mechanischen werkbänke verkehrten sich, die nadeln wuchsen in die verbrennungsmaschinen fest, die kolben stießen treibstoff auf das menschengewebe hinaus, das der länge nach geführt wurde, und fingen fließbandbesessen an, zweierlei geschlechtsorgane zu stanzen und sie zu schnecken zu rollen, die augenscheinlich fisch- und vogelembryonen ähnelten. sie sprangen von werkbänken ab, fielen in den großen wimmelnden haufen auf dem boden, kopulierten chaotisch, vermehrten sich auf die vegetative und geschlechtliche weise, verschmolzen miteinander wie zellen, teilten ihr zytoplasma, wuchsen bis zur größe der einzelnen menschenkörper. als diese wurmähnlichen, amorphen körper groß wurden, krochen sie weg und in die ecken, wo sie ihre langen, wie bei schlangen, rücken drehten und sich von den augenlosen hermaphroditen zu vollständigen bleichen menschen entwickelten. je nachdem, welche art von haut sie ursprünglich bekamen – entweder mit zusammengezogenen und nach innen umstülpten knien, oder mit zu einem lotus geschlagenen fersen – nahmen die menschen das eine oder das andere geschlecht an. bezeichnend war auch, daß die frauen sich immer zur wand abwandten. noch vor der geburt, als sie einander noch archaisch anlächelten, tasteten die menschen nach dem boden und den wänden des leibes, da sie schon seit ihrer zeugung mit der erotik der neugier beschenkt waren. die von ihrer flüssigen ergebenheit beruhigte, von ihren inzestuösen geschlechtsorganen betastete und bestreichelte maschinenhöhle erstarrte wieder im schlaf. die embryonen nahmen ihre fäustchen auf zum mund und leckten den gebrannten kautschuk von gelenken ab. das schlotternde schiffchen, die zappelige spule flochten, nähten organe zusammen, zogen am führenden faden, befestigten die basis. das nicht ganz lebendige fleisch wurde zerrissen und umgeschnitten, die nerven wurden aufgespult, um sparsam wieder gebraucht zu werden. zwischen der geburt und der existenz vibrierte eine unebene lebendige membrane. kleine schildkröten kribbelten auf dem boden, unterstützen das meer mit ihren schutzpanzern, sammelten und durchkauten die schwänze, die einer wegwarf, die weichen überflüssigen knorpel, borsten, häutchen, plazentas, zysten. krüppel und andere mißglückte exemplare wurden von automatisierten zangen gefangen und gerieten unter die presse. unter druck ergaben sie eine geflächte materie, die fertig zum verarbeiten war.

 

 

die maschine stanzte eine menge gleichartiger scheiben, indem sie sie aus einem dicken bogen tierstoffs ausschnitt. aus den flachen fetzen streckten sich gedehnte menschenköpfe, lange arme, plattfüßige gedanken; vor den flüssigen kristallen, den pupillen, die nach innen gekehrt waren, bosselte die traumsubstanz feuchte menschen mit bleichen gesichtern. die embryonen lächelten mit ihrem pränatalen zahnlosen, augenlosen lächeln, sogen maschinenöl und blut ein. während der schlaf tiefer wurde, lockerte sich die entkräftete feder, schob der kolben die flüssigkeiten rhythmisch durch den organismus, beschauten die neugeborenen ihre hände – noch mit keinem blut beschmiert -, dann bissen sie sich die nabelschnur durch, banden sie zu, spien den mutterkuchen aus den lungen aus. die grauen, die braunen wände des mechanischen gehirns schwollen mit flüssigkeitsebbe an und schrumpften abwechselnd; dann legten sich tiefe falten in die wandoberfläche.

 

 

 

DIE GEBURT DER HELDEN

 

 

das chamäleon wurde aus dem urwüchsigen ei geboren, zusammen mit dem lied ergoß sich der überflüssige dotter, mit seiner heiseren beidlebigen stimme nahm es zarte töne im tiefen register, die perlmutterne farbe seiner salzigen haut veränderte sich. seine großen, mit falten umringte augen schauten ohne neugierde oder vorwurf. sein kamm sträubte sich, seine eier fielen schön ein, auf dem bauch blühte ein riesiger ozeansnabel auf. ein augenstäbchen stieg an einem nervenseil aus der hirnwand heraus und nahm das chamäleon in den fokus. seine spitze zuckte, als ob sich etwas überlegend, , indem es sein gesicht und seinen körper betastete, bis hinunter zu seinen kleinen, engen füßen. schließlich fing das stäbchen an, an der spitze zu schwellen und sich zum zapfen umzuwandeln. hunderte und tausende von nadeln sammelten sich in dem stäbchen an, das in der mitte fest geschürzt war, - und schossen mit weißlichen spinnenfäden los; sie zielten direkt auf die augen und das gesicht des chamäleons, das inzwischen von der ohnmacht paralysiert wurde. die flachen braunen nadeln stoßen in die augen hinein, stachen den augenboden durch und ließen den druck heraus, reichten zum nahen hirn, und die chamäleonsaugen fingen an, sich vor dem druckunterschied zu trüben, sich in den fäden zu verwirren, zu verpuppen, zu einer gefüllten spindel zu werden. die stecknadeln nagelten als erstes den schwanz mittels flotter herbariumakupunktur fest, drückten leicht, um unnötigen blut aus dem körper des chamäleons abzupumpen, und fingen an, seine konfiguration nach und nach umzuändern. zu seinem mund wurde die öffnung einer röhre mit physiologischer lösung geklebt, die halb aus luft, halb aus mondreflektiertem sonnenlicht bestand, damit die sich in die länge gezogene narkose die gekreuzigte eidechse (ihre langen mittelfinger mit geblähten spitzen) nicht tötete. die mit spinnengewebe zugewachsenen augen wurden runder. auf dem kopf fanden vögel unterkunft. das gehirn dehnte sich aus, der blut wurde blau, die stimme brach, der mond schien landläufig, die komatöse narkose versah den zukünftigen selen mit vielen traumbildern, einige von denen ihm nachträglich das leben mit finsteren alpträumen erschwerten, die übrigen aber ihn dazu bringen werden, daß er weiche und fein duftende, köstliche, wie zitronenschnitte, ideale im leben suchen wird.

 

 

Nach dem Ende und einem Ende und einem halben Ende seines im Traum geborgenen Traums erwachte er als eine männliche Iguana. Er hieß Selen. Durch seinen Körper zog sich ein langer Mondstrahl. Stumm öffnete er seine grünen Augen eines Basilisks und fing sofort an, mit dem Gedankenblick nach dem unerkannten Gesicht des Vaters zu tasten. Solon, sein Vater, der eine erdfarbene Haut und einen eisernen Leichentuch anhatte, kroch gerade in diesem Augenblick aus dem Haufen Gebärmutterdung, der sich auf dem Boden ansammelte. In seinen Augenhöhlen platschte immer noch das trübe Meerwasser. Durch seine durchsichtige Haut zeigten sich die Wege, die die Bewegung der Flüssigkeiten in seinem Körper geschlagen hatte. Langsam bewegten sich in seinen Gefäßen schwer beladene leichte Schiffe. Selen begriff zögernd und krampfhaft Solons Gesicht, die väterlichen Züge wurden in seinem hypnotischen Sohngedanken geboren und flossen mit trüben Strömungen in die offenen Mündungen, Schleusen und Pforten von Solons Körper. Selen dachte – die Brücke, der unendliche Strom unter der Brücke, die unendliche Bewegung über der Brücke. Solon dachte – der Fluß, der Strom, durch die offenen Klappen fließen die trüben Strahlen in seine Gänge und Kanäle. Solon löste sich langsam vom Boden und, während des Aufsteigens, bekam eine fast menschliche, allerdings etwas wirbellose und gasförmige Gestalt.

 

 

Selen trat in die Brandung. Im kalten Meer tauchte ein riesiges – so weit wie der Ozeansspiegel – Gesicht aus dem Düngerhaufen. Auf seinen Schoß kletterte Selen, die Iguana mit Spinnenaugen und einer Taubenleber. Selen schlug seine Hautsohlen nach außen und sog das Nachtlicht im Lauf über das Wasser ein. Wenn das Licht die noch nicht getrockneten Nervenspitzen berührte, die gleich Nadeln aus Selens winzigem Körper herausragten, gerann es zu lunatischen Zellen. Wenn Selen mit seinen Sohlen in die verletzlichen Augen auf Solons Gesicht geriet, zog er die rauhen Füße zurück, indem er leise heulte und ein wirkliches Leben für seinen Vater verlangte. Selen hob

Schlammstücke vom Boden auf und bedeckte seinen hautlosen Körper aus Sehnen und Knochen mit einer dicken Schicht davon. Der Schlamm wuchs mit dem Körper zusammen, verhüllte die nackten Nerven, legte sich weich auf das lunatische Gewebe. Die sonnengebrannte Rinde formte seine Haut. Das Gesicht wölbte sich mit der Oberflächenspannung auf dem Wasser. Mit seinem bläschenbedeckten Gesäß rutschte Selen auf den durchsichtigen Knien seines Vaters. Solons Ohren quollen mit bleichem rotem Licht. Seine Augen dämpften die bleiche Bläue aus, seine Knien wölbten sich rund, das flüchtige Lächeln kräuselte die Oberfläche, bis eine bittere Wellenfalte sie ablöste. Die Sonne dämpfte das Meer allmählich aus, die Brandung trat zurück, ein Streifen spiegelblanken Schlamms blieb am Strand blinzeln. Die Brandung trat weiter zurück. Der Schlamm vermehrte sich. Selen setzte mehr Epitel an. Solen, Solen! – schrie Selen das Kind auf, das noch nicht richtig sprechen konnte. Die Sonne verbarg sich im Schatten, und Selen folgte ihm krampfhaft nach, rannte hinter dem Wanderschatten. Wie ein dickflüssiges Gerinnsel stieg die Sonne in der linken Halbsphäre, fuhr in die rechte auf einem breiten Durchfluß kraft einer hydraulischen Pumpe, die sie mit dem erzeugten Druck schob, und zerfiel in Blutkapillaren im abendlichen Himmel. Das Gehirn raschelte mit den Schläuchen, wusch die blutleitenden Röhren ab, die der Spasmus und das Sonnengerinnsel etwas deformierten. Die braunen Mauern sanken unter dem Gewicht der gefüllten Röhren. Die Sonne krächzte mit den schon müde gewordenen Bolzen, die Rille im Hirnfirmament, die für die Sonnenrotation gelegt wurde, knirschte rostig, die Messingkreisbahn der Sonne wurde von Untergangsstrahlen beschienen und stand in roten atmosphärischen Flammen. In den Hirnsphären wurde Nacht. Dann trat Solon aus dem Wasser mit seiner sperrigen schweren Figur, in seinen Armen pulste die Macht und die Nacht, seine Ohren erinnerten an Trichter eines Wirbelwinds und seine Augen sprangen ungewollt ins Wasser, und tiefer und tiefer fiel sein Schatten. Seine Hand bedeckte Selen, das Kind schlief jetzt, und das Mondlicht, das Solons Hände durchdrang, floß in den kaltblütigen beidlebigen Körper hinein. Selens Blutzusammensetzung veränderte sich bei Nacht. Unter der Wirkung der warmen väterlichen Hände beschleunigte sich das Blut, das das dafür ungeeignete Herz und die weiche Leber erwärmte, und das kalte Blut floß weg und sammelte sich in seinem Gehirn, stockte zu unebenen Eisstückchen und verunstaltete die ohnehin verkrümmten Adern. Solon betrachtete seine Züge lange und innig, erkannte in ihm sich selbst, so, wie ein weises Kind seinen Vater erkennt – sei es durch das Rascheln einer Sohle bei Nacht, oder durch den Namen im Sprechen, oder durch die Handbewegung auf der Geländerstange einer steilen Treppe.

Nachts, nachdem er lange genug den ausgestreckten Sohn mit Genuß betrachtete, griff Solon, der schlimmste aller wirbellosen, ein Wanderer, ein Emigrant, nach den eisernen Stangen, bestieg steinerne Fugen in der Wand und kletterte ganz nach oben, zu der Schiene in der Decke, an der ein verflochtener Draht lief und Strom und Wasser zum Mond brachte, zu diesem komplexen Mechanismus mit sanft und tief gelegenen Kratern. Solon zog den Mond an einem kleinen Kabel zu sich, sein Gesicht wurde zu einer strahlenden und raublustigen Miene, von den Ohrläppchen tropfte fleischgierige Speichel hinab. Solon nahm den Mond, der von Nebelflüssigkeit troff, vom Firmament und stieg mit ihm, mit seiner süßen Beute, in die wärmste und gemütlichste Spalte des Hirns hinab, verkroch in seine am intensivsten pulsierende Wundstelle und paarte sich dort mit ihm, lange, monoton und brutal, und der Mond knarrte nur müde und verdreht in Antwort darauf, während Solon seine Höhlen ausdehnte. Der Mond schied weißliche Blutjauche und Molche aus, Solon druckte auf seine Käsedrüsen, und der Mond stöhnte mit einem kleinen sachlichen halb Ächzen, halb Kratzen zurück. Und morgen früh, wenn ihn das dreifache Geschrei und Gekreisch der Sonne überraschte, die gerade aus der Schleuse zwischen dem Tag und der Nacht herauskam und auf ihre Kreisbahn verschlafen hinausrollte, verbarg sich Solon in dem Ufergebüsch und ließ sich wie einen Riesentropfen ins Wasser fallen, nachdem er die ganze Nacht lang es nicht schaffte, dem Mond über seine Liebe ins Ohr zu flüstern, fand keine Zeit dafür, war nur mit seinen feuchten Rundungen und tiefen Feuchtigkeiten beschäftigt. Der Mond stieg an seinem Kabel traurig und ermattet hoch zur befahrenen Furche in der Decke, knirschte mit den Klappen der Tag- und Nachtschleuse zum Abschied und fuhr fort. Selen öffnete seine Augen mit einem Schauder; von Tag zu Tag wurde er immer weniger ein Reptil; die Blümchen, die er nach dem Schlaf mit den noch warmen Lippen pflückte, legten ihre kühlen Blüten auf sein erhitztes Herz; wenn er sie schluckte, flüsterten seine Lippen einen unbekannten Namen; anfangs fürchtete sich Selen vor diesem Laut, aber langsam leuchtete es ihm ein, daß er bald erfahren wird, um wen es sich handelt, obwohl er noch nie jemand außer sich selbst und seines Vaters traf, und der Klang des unbekannten Namens ihm immer noch Angst machte, wenn er sich aus seinem sprechenden Mund in seine zuhörenden Ohren wie ein Zauberspruch ergoß, in dem ein Geheimnis verborgen steckte. Einmal, als er es nicht weiter vermochte, die Angst und die Aufregung vor dem Namen auszuhalten, preßte Selen die Augenlider fest zusammen (hinter ihnen wälzte sich die schon fast menschliche Pupille), schaltete sein Gehör ab und druckte ein weiches Eidechsenei aus seinem Inneren. Es rollte die feuchte Uferneige hinab und stoppte zwischen den Steinen. Selen fiel entkraftet auf den Sand und schlief lange. Eine Schlange mit einem gierigen Lächeln und einem bewölkten Gesicht kroch unter dem Stein hervor und umwickelte Selen, wie einen Kelch voll Gift. Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust, schmiegte sich an ihn mit allen ihren Tentakeln an, krallte sich in ihn mit den Dornen fest und, gleich einer reifen Knospe, umhüllte ihn mit ihrem süßen Duft. Der Mond und die Sonne wechselten einander im Himmel, die Schleusen schlugen und stöhnten, Selen schlief, schlief und schlief, die Schlange bestreute seine Haut mit Rosenblüten. Nachts, jedesmal, wenn Solon kam, um den Sohn zu berühren, wurde er von der Ansicht der schlingenden Weideschlange verscheucht und ging weg, ohne einmal die Hand in Selens Haar zu tauchen. Einer Nacht kam der Prozeß der Wiedergeburt in Selens Körper zum Abschluß, und er fing an, als Mensch aufzuwachen. Im Wachwerden zitterte Selen und riß den Parasit mit der ungewöhlichen für ein Kind Kraft von sich ab. Im Aussehen ähnelte die Schlange Selen, wenn auch nur entfernt. Unter ihrer Haut gor die mit Eiter und Dünger gesättigte Erde. Die Sonne trocknete die Schlangenhaut aus, und sie platzte unter den Strahlen, indem der wilde faulende Erdboden entblößt wurde; aus den Rissen sprossen dicke Unkrautstengel. Es roch stark nach dem pränatalen Hefemost. Die neugeboren werdende Serpenta biß sich nach dem Brauch der Kriechtiere am Schwanz und durchstach ein Loch in der Leistengegend mit ihrem Giftzahn, möglicherweise aus Versehen, aber vielleicht doch auch einem Instinkt folgend. Dann entstanden ihre Arme und Hüften, die ihre Form einer menschlichen etwas näher brachten. Gertophia, die noch keine Brüste besaß, kratzte von sich eine nach der anderen wild wachsende Lilien weg, wechselte ständig die Haut, zog sich an den Warzen, fing im trüben Wasser eßbare Fleischstücke, klebte sie sich zwischen den Schlüsselbeinen und Armhöhlen an, um besser proportioniert auszusehen. Mit großer Konzentration tauchte sie in der Untiefe, ließ Krümchen Füllung aus Mairosen und Veilchen aus ihrem Nabel fallen. Sie streckte sich aus, strich sich an den glatt gewordenen Seiten, am Rücken und an der Brust, riß die Heftfäden von ihrem Bauch ab, schnürte den Bauch mit einer dünnen Gummiband zu einem Nabelknoten; sie sah gut aus, abgesehen von dem Mangel, daß es schwer zu entscheiden war, ob sie Augen besaß, und wenn ja – dann an welcher Stelle. Selen streckte seinen Kopf bis unter den Augen aus dem Wasser und sah Gertophia mit einem Gefühl der Liebe der Unterworfenheit der Begierde des Tadels und einer gewissen Brutalität an.

Selen, Solon und Gertophia hörten schließlich auf, die Haut zu wechseln, und ihre Durchsichtigkeit nahm ab. Das Gehirn atmete gleichmäßiger, sein Schlaf vertiefte sich, die Helden zeigten dem Hirn abwechselnd ihre Bäuche und Rücken, und das Gehirn genoß den Anblick der Produkte seiner supermentalen Aktivität. Manchmal blickte Selen hinauf, wo die verflochtenen Fasern der Augennerven befestigt worden waren, aber konnte nicht sehen, was hinter der zweidimensionalen Hülle des Schlafes passierte, die Selen, das Ergebins des Schlafes, von dem Gehirn, dem Produzenten des Schlafes, trennte. Selen atmete tief ein, und ab und zu schien es ihm, daß das Gehirn ihm entgegen eine feine dreifingrige Reptilhand mit dem gespannten Zeigfinger ausstreckt, und er betrachtete die eigenen Finger und suchte nach einer Übereinstimmung. Das Gehirn spürte in solchen Augenblicken ein süßes Zittern und empfand den Wunsch, Selen mit der ganzen Oberfläche seiner tiefen, mit leimigen Scheinfüßchen besätten Wänden umzuarmen, aber jedesmal enthaltete es sich dessen, weil es wußte, das die zarte, dünne, mit matter Röte glühende Schlafhülle auf diese Weise zerbrechen würde. Das Gehirn verlor eine Träne und stellte bloß die Abstimmungen des Mondes auf den weicheren und helleren Schein um. Selen drückte die einsame Hand gegen die Brust und sah den aufsteigenden nassen Stern mit Schmerz und Hoffnung an.

 

 

 

 

DAS MECHANISCHE THEATER

 

 

1

 

 

Selen ging auf den Flur. Er strich mit einer Hand über die nachgiebigen Wände, um sich nicht in der Dunkelheit zu verlaufen, lief langsam in einem Kreis und tappte im Dunkeln nach dem Ausgang. Der herbe Geruch des sickernden Monds erfüllte die Luft. Selen ging nach draußen und setzte sich auf eine Stufe. Der Mond versilberte die Haare auf seiner Wade, die über dem abgerutschten Strumpf überhingen. Er tastete nach einem Hebel und rückte den Mond etwas näher, um besser sehen zu können. Mit der Spitze eines Schuhs, den ein fremder weiter Fuß vorher getragen hatte, stocherte er im Boden, in der mürben grauen Substanz. Aus der gestochenen Mulde sah ein prähistorisches Gesicht, ein glatter grauer Schädel heraus. Von der toten Stirn wischte Selen den stark riechenden Mondsausfluß ab, der die Augenhöhlen vollfüllte und von dort aus schimmerte, ein Mondlichtschimmer. Selen jätete ein paar Kirschbäumchen aus den Schädelhalbsphären, griff an den herunterhängenden Lippen und zog sie zusammen mit der restlichen Haut vom Schädel aus. In seinen Händen schrumpfte die Haut zu einem Häufchen Dünger. Selen küßte es unmittelbar auf die Lippen.

 

 

Selen: Es riecht nach Fleisch, nicht wahr?

 

 

Das Häufchen Dünger: Die Veilchen sind es. Nicht zu ändern – so ist es im Mai.

 

 

Selen: Ach so, ich dachte schon, etwas wäre faul hier. Solche Risse im Boden. Es könnte alles sein, eine Leiche, zum Beispiel. Oder eine Ratte.

 

 

Das Häufchen Dünger schüttelte betrübt seinen senil zitternden Kopf.

 

 

 

2

 

 

Das auf den heißen Steinen warm gewordene Eidechsenei platzte. Das mechanische Gehirn wurde von Alpträumen erschreckt, erzitterte mit allen Pforten, Ein- und Ausgängen. Die Wände bebten, wurden fast zum Gallert durch die Furcht, durch den Schauder. Aus Selens Kopf, Mund und Ohren kriechen die Schlangen weg und stürzen eine nach der anderen ins Meer. Das Meer schlängelt sich, zischt und stöhnt, aber hält durch. Selen wischt sein Gesicht eines weisen Reptils, einer heiligen Iguana mit dem Schlangenschwanz ab und verwünscht Sankt Patrik im Flüsterton.

 

 

 

3

 

 

"... als ich noch mein vater war, so dachte Selen, damals tötete ich diese gegend tötete sie wie eine ratte in einer rattenfalle damals war sie lebendig mit dem regen und das leben sprudelte hier über im korn herrschte die sodomie er war mein vater wir waren mit dieser heide wie brüder in april sprießt hier flieder wie frühlingsausschlag zu meinem vater war ich wie ein bruder aber mein wirklicher bruder war kein körper sein körper war mit ihm er war seine sache mein bruder war eine sache ich habe es ihm ins ohr zugeflüstert wir lagen zwischen den ähren die von mutterkorn befallen waren sein ohr war mir zugewandt es war weiß wie mehl mit buttermilch verschimmelt wie alte milch und in dieses ohr flüsterte ich zärtlichkeiten hinein ich hatte kaum noch geschafft ins meer zu springen und mich am kopf zu fassen und er fing augenblicklich an mit aussatz und rostrinde zu schuppen ich hörte wie bolzen und zahnräder aus ihm herausfielen und –sprangen ich sage euch er war eine sache mein vater verstand es auch aber jetzt schläft er schon und ich kann mir seine träume nicht vorstellen..."

 

 

 

4

 

 

Selen schlief ein. Er träumte, daß sein ganzes Leben Nacht ist, daß sein Kopf von dem nächtlichen Himmel aufgeblasen und mit dem Mondtau überflutet ist, der Wind vom Meer herkommt, die gallertartigen Qualen aus dem Wasser auf den Strand kommen, die Schildkrötenpanzer durchbeißen und sich mit dem fremden Blut voll trinken. Und am Ufer des Binnensees in der Mitte seines Kopfes entfaltet sich ein schreckenerregendes Drama. In den See fließen Regenstrahlen ein und rascheln, wie eine Ratte im Keller. Mitten im See schwimmt eine Bühne, auf der eine Schlange kriecht, frißt Blumen, eine Eidechse stolpert herum, rostige Zahnräder kollern hin und her. Die Hebel der Theaterkonstruktionen fallen im Einklang damit ein und springen wieder auf. Plötzlich streckt sich eine Rattenschnauze hinter der Kulisse hervor, die den See von der Wand abtrennt. Die Bühne dehnt sich aus, es treiben sich viele Schiffchen um sie herum, aus den Spulen spannen sich vielfarbige Fäden, die Bühne, die auf den Nervenverflechtungen zwischen den Wänden aufgespannt ist, verwandelt sich langsam in eine Rattenfalle. Die Falle fällt zu, klemmt den Rattenhals ein, die Ratte streckt ihre gierige Zunge aus und umhüllt damit die Quallen, die Zahnräder; wie verzaubert rückt die Eidechse näher zu den giftigen Saugmündern und Bläschen auf der Zunge. Die Schlange kriecht über den Gaumen in die Ratte ein, indem sie gegen Ströme kalten Bluts kämpfen muß. Die Rattenfalle fällt samt ihrem Inhalt ins Meer. Die Quallen, die ins Meer fielen und sich von der Eiweißnahrung vollsogen, vermehren sich wütend. Indem sie sich wütend vermehren, strömen sie lange und bleiche Blutstrahlen aus; die langen und bleichen Blutstrahlen verlassen die Quallenkörper, fermentieren sich, der Blut gerinnt, verkäst sich, wird zu einem Hirnlaib, zum Käse für die Rattenfalle, zu einer runden Scheibe Käsemond. Wie ein langsamer Hebel hebt sich ein feuchter Mondstern in der gewölbten Sphäre des Ozeanswassers, beleuchtet die bläschenbedeckte blaue Gebärmutter auf dem ozeanischen Boden und den gelben Haufen des Sonnenschlamms... Selen wachte in dem Augenblick auf, als die Morgenröte in seinem Traum dreimal vom knirschenden Röcheln der Sonne erschallte.

 

 

 

5

 

 

Selen saß wie gewöhnt am Ufer und dachte nach. Statt eines Griffels hielt er einen Eschenstock in der Hand und schrieb Vorzeichen im mürben Hirnoden mit seiner Spitze, die sofort zu einem grauen Dampf sublimierten und in den Hirnhimmel stiegen. Es wurde langsam Nacht. Die Sonne rollte schon in die Schleuse zurück, aber ihre Krone beleuchtete die eiserne Nachtoberfläche noch einige Augenblicke lang mit rötlich-schwarzem Dämmerungslicht. Der Wasserspiegel wölbte sich und barst geräuschvoll wie eine klangvolle Plastikhülle und ließ einen breiten eisernen Schrank frei stehen – es war Solon, er schüttelte schwer seine biegsamen rohrähnlichen Arme vom Wasser ab, schraubte irgendetwas in seinen Bauchmechanismen fest, zog einige Schubladen aus sich heraus, korrigierte den Augenfokus und beträufele die Kugellager in seinem Mund mit der Schmiere. Selen, der in seinen Graphemen versunken war, merkte bisher noch keine Nachtsgeräusche. Seine Gedanken drehten in immer lockerer werdenden Kreisen um die dichte Traumachse und flogen schließlich auf einer Parabelorbis ins mürbe Gewebe der weichen Hirnrinde oder verformten ihre Laufbahn, bis sie der Figur glich, die ein gekrümmtes Rad im Drehen umschreibt. Solon bewegte seine mit Maschinenöl beschmierte Gelenke stumm seinem Sohn entgegen. Mit seinem Eschenstock nagelte Selen einen flüchtigen Spruch mit einem Fragezeichen am Ende zur Schlafoberfläche fest, hob langsam sein leidvoll gesenktes Augenlid und erwischte einen metallenen Schein mit dem Rand der Pupille. Er senkte sofort seine Augen und fing an, den Vater wieder dort unten zu suchen, dieses archaische Gesicht, das sich auf der Wasseroberfläche spannte. Der Mond, der an einem Schlitten in der Schmalspur an der Decke rollte, polterte auf einer Fuge. Das Wasser geriet ins Wanken.

 

 

 

6

 

 

Selen saß an der Kante der stillen Seeoberfläche. Im See wanderten Menschen mit den Schaufeln, ihre mechanischen Hände trugen die Schaufeln, die Harken und die Stiefel, die die Schipper auszogen, weil sie störten. Ihre Augen waren hinausgerollt und hingen zwischen den Knien, um die Einzelheiten der Landschaft unter den Füßen zu untersuchen. Ihre Körper hatten eine ringförmige Struktur, ihre Pseudohände schienen weiblichen zahnlosen Würmern ähnlich. Endlich, als sie mit ihrem sinnlosen Schwärmen fertig wurden, sammelten sich die Menschen mit den Schaufeln an einer Stelle an, wo eine Unterwassersalzquelle aus der Seetiefe sprang und die hohe Qualität des Trinkwassers verschlechterte. Sie hoben ihre mit Leichtigkeit lang gewordenen Arme zur Decke und stachen die Schaufeln in das dickflüssige Wasserleib. Mit blanken skalpelartigen Klingen drangen die Schaufeln ins Wasser und zogen den dünnen embryonalen Skalp ab. Mit Ärger spie der grob zerkratzte Boden einen bittersalzigen Strahl aus und sog die Schipper in sich samt ihren teleskopischen Gliedern und monströs gewachsenen Arbeitswerkzeugen ein. Das heißt, sie gruben einen Grab, in den sie später selbst fielen. Der Grab wölbte sich in der Art einer feuchten Nehrung von Ufer zu Ufer, die Mondfluten leckten die Sandhügelchen mit ihren feuchten Zungen. Selen dachte, daß diese Wunde, diese Strieme nicht mehr heilen wird, bis zum Tag des Wachwerdens, wenn alles – ob tot oder lebendig – wieder ins Leben gerufen und das mütterliche Wasserleib wieder durchgehen müssen wird, diesmal aber in Gegenrichtung, und von dann ab nie mehr wiederkehren wird. Selen weinte und fühlte sich unerklärlicherweise dieser Wunde verantwortlich. Gertophia, die stumm vor Entsetzen wurde, zitterte mit allen ihren Ringen im krausen Ufergebüsch.

 

 

 

7

 

 

Selen saß am Ufer, seine Lider waren leidvoll gesenkt, und mit der Spitze eines fremden Schuhs stocherte er in der gerollten abgeworfenen Schlangenhaut. Gertophia kroch in der feuchten Mondlandschaft herum, atmete verschiedene Blumengerüche ein und schlang sich um die Weidenwurzeln. Der Laut der ungestümen Strömung im See strebte in ihre Schlangenohren und betäubte sie. Ihre zarten Augen mit strahlenden Wimpern waren auf Selen und die bittere Falte an seinem Mund gerichtet. Sie erinnerte sich an die Zeit, als Selen barfüßig über die weite Wasseroberfläche lief und ihr viele bunte Tiere schenkte.

 

 

Gertophia: Selen!

Selen: Du bist alt, Gertophia, du bist alt.

 

 

Gertophia sank mit ihrem glitschigen Körper auf den Boden und mischte das Geheul zusammen mit den Beschuldigungen in Unhöflichkeit zu einem homogenen grauen Schmutz.

 

 

Gertophia: Ich bin jung, Selen, ich bin jung! Und du, Selen, du bist aufgeräumt und frech!

Selen: Erstmal mußt du dir Beine wachsen lassen. Dann darfst du wieder mal vorbeikommen.

 

 

Mit dem Gepolter eines fallenden Körpers kroch Gertophia beiseite, so daß eine unebene Dekoration mit abgeschuppter Farbe zum Vorschein kam: eine sommerliche Wiese unter den Lichtstrahlen des Mondes, der auf den Hirnfalten ausgestreckt lag.

 

 

Die Beine des Monds waren weit auseinandergeworfen, und Solon paarte sich raubgierig mit ihm, indem er seine Knie sich auf die Schultern legte und einen zweiten Rücken auf ihrer Wirbel pflanzte. Selen betrachtete diese Szene von unter den halbgesenkten Augenlidern. Die Beine des Monds machten ihn unruhig. Die enigmatische Tiefe ihrer Kratern bewirkte eine Flut in seinem Sinn und Körper; während Selen jede Nacht an der Wasserkante saß und dem Vater zusah, der seine himmlische Liebhaberin vergewaltigte, wurde er langsam wassersüchtig. Gertophia, die mit den feuchten Körperstrahlen glänzte, kam gegen Morgenanbruch gekrochen, sprach manchmal Selen an, blieb jedoch üblicherweise schweigend im Schatten. Selen dachte nach und wartete. Es wuchs ein Gewehr an ihm, der sich zum rechten Knie richtete. Der Gedanke an die Allratte verfolgte ihn ständig.

 

 

 

8

 

 

Selen wurde mannbar im Korn und Getreide, warf den Kopf auf den Venusschenkel zurück und verliebte sich sofort in die weibliche Wärme. Seine Adonistuben pulsierten, Gertophia umarmte seinen Kopf und bat ihn, kühner zu sein.

 

 

Selen: Darf ich meinen Kopf auf Ihren Schoß legen?

 

 

Gertophia öffnet ihre Beine. An der Stelle einer Vagina hat sie ein Blümchenstrauch.

 

 

Selen: Ich meine, auf, nicht in den Schoß.

 

 

Gertophia klappt die langen Schenkel zusammen, ihr Gesicht wird traurig. Ein kleiner Schlüssel von einem merkwürdigen Schloß klirrt gedämpft in Selens Tracheen. An der Wasserkante sitzend, denkt Selen über die Rattenfalle nach. Sie scheint ihm ein kleiner Käfig zu sein, der mir einem runden Schloß mit dem doppelten runden Loch versehen ist.

 

 

 

9

 

 

Mai. Gertophia rollt die Ärmel hoch und hantiert mit einem Schaufel an der feuchten Uferkante, indem sie ab und zu den Schweiß von ihrer Stirn abwischt. Die erschreckten Insekten und kleine Schildkröten bröckeln ins Meer zusammen mit Kiesel und Uferganglien herab. Die Unstabilität und der Katastrophengeruch wirbelt sich in der Luft. Die Käfer, die bisher wie rote Wölkchen in Schwärmen durch die Luft flogen, stürzen auf den Sand. Unter der Fülle der winzigen Leichen verfärbt sich der Sand, das Rascheln der toten schuppigen Flügelchen vermischt sich mit dem Rauschen der Brandung. Gertophia wirft rote Lehmklumpen in die Luft – sie zerfallen in einem Bogen Abendröte. An diesem Bogen rollt die Sonne ins Meer hinab. Es fällt eine Dämmerung von vielen Farben, vor allem aber grau gefärbt. Gertophia streckt und dehnt sich müde, zieht ihr Kleid aus und wascht es zusammen mit den Beinen im Wasser, zieht ein Nachthemd an und legt sich auf den Boden eines einfachen Grabs. Sie schließt die Augen. Um die Ecke schleicht eine dunkle Figur in den Strümpfen, die an den Knöcheln in Falten hängen. Selen lächelt unheilverkündend und bestreut Gertophias Körper mit Phosphatdünger.

 

 

Selen: Du riechst nach Erde! Schwör's! Schwör's! Schwör's!

 

 

Gertophia schweigt. Selen betastet ihre Lider. Gertophia öffnet den Mund, um eine Antwort zu geben, aber Selen stellt sich auf ihr Gesicht, zerquetscht ihren Mund und bestreut den Körper mit Erde. Er wartet bis zum Tagesanbruch, gräbt Gertophia aus und bringt sie auf den Armen nach Hause. In der Nacht schrumpfte ihr Körper und wurde dunkel, an vielen Stellen sprossen Keime und Veilchenknospen aus ihm. Deswegen gleicht Gertophia jetzt einer Pflanzkartoffel mit blauen Augen.

 

 

 

10

 

 

Solon steht an der Schwelle. Durch den Flur kommt Selen mit Gertophia in seinen Armen an ihn heran. Solon, der mit der Mondfeuchte voll beschmiert ist (sie tropft sogar aus seinen Ohren), trocknet seine Hände hastig an Selens Haar ab und zieht eine Stapel zerknüllter und vergilbter Fotos aus der Tasche hervor. Selen, überrascht wie er ist, legt Gertophia auf den Boden nieder und macht ein langes Gesicht. In seinen greifigen faltigen Händchen liegt ein altes Bild, das Gertophia mit einem breiten Grinsen und einer nackten runden Brust abbildet. Auf ihren Handflächen ruht ein kleines, faltenbedecktes Eidechsengesicht. Die Warze ist groß, braun, feucht. Das kleine Gesicht gehört dem Kopf mit dem abgeschnittenen Körper. Die Sehnen und die Atmungsröhren umflechten ihre Handgelenke wie ein Netz Schlangenefeus. Die Mondflüssigkeit fließt über Gertophias Hände und das Gesicht des Säuglings. Selen reibt das Bild mit seinem zitternden Finger, betrachtet das Bild genauer und erkennt sich selbst: derselbe bewegliche Schädel; dieselbe weiche und süße Leber auf den gedroschenen Fleischfäsern; dasselbe entblößte Nervensystem. Aus dieser Brust trank er die Schlangenmilch und den Löwenzahnsaft im Feld, der junge Adonis und die alt werdende Venus. Wie von einem Meteorit getroffen, läßt sich Selen unmittelbar auf Gertophias runzeligen Körper nieder. Er denkt darüber nach, daß wenn der Rahmen so eng ist, wird der Inzest unvermeidlich. Das Gehirn erzeugt ein homerisches Gelächter, das es wieder zu wecken droht. Solon verläßt seinen Sohn allein mit den Skrupeln und steigt wie ein langsames Gespenst zum Mond auf, der im schnellen Drehen feuchte Schneekonfetti streut. Selen wickelt nachdenklich Gertophias Keime um seinen Finger, flüstert miching malecho, das Wort, das allen bekannt ist, und senkt seinen heulenden Kopf auf ihre Brust. Gertophia, die fast reif und eßbar ist, beschwört Selen aus letzter Kraft mit Rettich Gottes.

 

 

 

DER ALLBEISCHLAF

 

 

In einen Raum mit drei Wänden und zwei Decken trägt Selen Gertophia hinein, ihren keimenden Pflanzkörper, der mit Brautschleier zugedeckt ist. In der Mitte des Raums zwischen der Decke und der Decke hängt eine Tischplatte, die der zwiespältigen Schwerkraft unterworfen ist. Sie ist mit einem blassen Tischtuch und den kalten Vorspeisen gedeckt, die nach dem Leichenschmaus der biomechanischen Schipper übrigblieben. Die Gäste schenken Sekt ein und tranchieren das kalte Fleisch. Gertophia ist eine Gemüsebeilage – das ist das letzte Gericht, auf das alle warten, um mit dem Essen anzufangen. Die in die Luft gehobenen Gabeln und hungrig-aufgeregte Schreie begrüßen ihren Auftritt. Selen lächelt und küßt die pflanzlichen Lippen seiner Braut mit viel Gefühl. In diesem Moment schafft jemand schon, einen Keim von Gertophias Körper zu pflücken und ihn zu zerbeißen. Die unaufhaltsame Gefräßigkeit und der Rausch dauern bis zum nächsten Morgen, wenn die Gäste einer nach dem anderen durch die Tür zum See an den Füßen geschleppt werden. Dort werden sie von den quadratischen Kiefern der frischen Gräbern freundlich aufgenommen. Die Gäste schlafen ruhig ein. Beruhigten Herzens markieren die Hausväter und die Bräutigame die Spalte der Hochzeitsdiner in ihren Tabellen mit einem Häkchen ab. Das kalte Fleisch vermehrt sich vegetativ und verkriecht in der Form der grauen Ratten in die Bodenrisse, wo die geschlechtliche Vermehrung sich anschließend fortsetzt. Selen kauert vor Gertophia, rollt langsam und sorgfältig die Schleier auf, indem sich der keimende körper entblößt er biegt behutsam die spitzen der vorspringenden keime der blauen lilien der veilchen die gleich fasern die haut durchdringen durch gertophias haut es ist gertophias haut! selen fingert erstens gertophias backhaut um sich der jungfräulichkeit ihres püreartigen kartoffelschoßes zu versichern; er sieht nach allen seiten um, zieht die gardinen enger zusammen läßt den bettvorhang über den seidenen betttüchern herab wirft ihre seidene matt schimmernde wäsche durch den ganzen raum auseinander die wäsche die schimmert und auch ihre strümpfe um den schatten zu vertiefen um mehr falten zu erzeugen damit sie einen zufälligen fremden blick an sich ziehen würden mit aller ihrer weiche und dem rascheln der angehaltenen bewegung. die ratten näheren sich in reihen und karrees und umringen das ehebett nehmen es in einen kreis und in einen zweiten kreis. erst danach öffnet er seine brustkrause die gedämpft raschelt; sein mit gänsehaut bedeckter chlorophylladamsapfel pulst gierig springt wie eine reife frucht auf das spitzenchemisett. der geraniumgeruch faßt den ganzen raum in sein spitzenwerk ein. weiße kamillen blühen auf den wänden auf ranunkeln bedecken das tuch und im pol gertophias verflüssigten kartoffelkörpers entfaltet sich ein zähes rosenstrauch. die hohlen blütenblätter öffnen eins nach dem anderen ihre leeren füllen; selen wird es schwindlig vor dem betäubenden duft der trunkpflanze. gertophias keime strecken sich werden länger und feiner nähern sich selens enkraefteten beinen umwickeln sie mit zarten aber festen ringen fangen seine knöchel und saugen sich mit vielen gifthärchen in seine haut ein. die dickflüssige ausgegorene stärke fließt sprudelnd aus den keimdrüsen und sproßlöchern auf gertophias körper. ihre weiblichkeit überwältigt selens einbildungskraft. schon vollkommen nachgebend mit der besinnung die vor dem rosigen stärkefett schwer wurde zieht er seine kleidung krampfhaft aus reißt sie in streifen und gertophias vegetative ranken saugen sich immer tiefer und näher zu dem nullpunkt und dem mondgeflecht in seinem gelben flachen bauch ein.

nachdem gertophia ihren ganzen vorrat an zytoplasma ausfließen läßt entblößt sie sich bis auf eine blaue halbzelle die aus scheinfüßchen besteht die in einem punkt im pol der auseinanderlaufenden strahlen zusammenkommen; selen – eine andere halbzelle der tierenherkunft mit einem mondstein im kopf der einen archaischen halbmineralen stoffwechsel hat und der seine nachdenklichkeit und die unterwürfigkeit vor der mondschwerkraft erklärt – er befreit sich von der schnell schuppenden haut; seine enge durchsichtige hülle gleitet auf den boden mit seidenem rascheln und knirschen ab; die leitratte hebt es; mit der schnellen katalysation wächst selens körper zu einer homogenen masse; der dickflüssige kriechkristall leckt die vorigen formen ab; und selens erlöschendes gehirn vereint sich mit dem pulsenden mechanischen schlaf. gertophia – ein tentakelklumpen eine halbzellenmasse – saugt sich zu den knoten der scharf geprägten krisallstruktur fest die selens reptilsubstanz ersetzten. der kristall – die sich fortsetzende biomasse – wächst unter die saugmünder der tentakeln und saugt die kühle des fremden spiralartigen halblebens das wie ein virus nach einer lebensfortsetzung strebt. miteinander verflechtend gießen selen-biomolekül und gertophia-hämophytoform chaotischen jodoform in stärkechlor ein; die ätzende flüssigkeit bremmt den stoff auf dem ehebett durch dringt in die dunklen parkettdielen sickert in die festhalle wo die müßigen gäste um dem entblößten kalten gerippe der schipper sitzen und am letzten biß kauen. der trübe tropften fällt auf den gipfel der mehrstöckigen hochzeitstorte – ein volltreffer – die kreme fließt gleich sahniger lava und ein krater bis zum teller öffnet sich in der mitte. die gäste lachen und schrein nach einem hochzeitbitter und hochzeitsauer. sie teilen hastig die zerfließenden tortenecken aus und verschlingen die ganze torte bis zur letzten glitschigen sahnenspur indem sie das lachen nicht unterdrücken können und durch die nase lachen während ihr mund beschäftigt ist; die ratten die mit ausscheidungen überflutet sind bilden eine lange rattenkette und fangen an miteinander zusammenzuwachsen und zurückzuevolutionieren bis sie zu einer zelle reduzieren; die halblebendige materienzelle die einen kometenschleif besitzt kriecht durch ihre körper und schließt sie zu ihrer langen molekül an. sie zieht mit sich weiße rote blutkörperchen spannt das muskelgewebe zu einer sich dehnenden saite und zerspaltet die gewöhnte eiweißsynthese. die münder der helden werden nach innen eingesaugt und kehren durch die nabel auf die linke seite mit einer merkwürdigen stereometrie in dem die höchstentwickelten formen sich in hypertrophierte amöben verwandelen. der bis jetzt angehaltene vermehrungsimpuls füllt ihre zellen bis zum übergießen und scheinfüßchen zittern – die zellenteilung und -fusion füllt die ganze sphäre ihrer existenz – die hülle des mechanischen schlafs. jeder vereinigt sich mit jedem die säure und die lauge streben unaufhaltsam zueinander; das mechanische gehirn füllt sich von innen mit dem leben das seinen binnensee zu überfluten droht das ozean zu überstrahlen und die feste und zähe schlafmembrane mit seinem andrang zu brechen. solon trinkt noch ein wenig wein schüttelt seinen kopf und bedauert seinen sohn; langsam fängt erst seine eiserne brust und dann sein ganzer körper zu einer homogenen masse zu zerfallen; er wird zu einem einzigen scheinfüßchen und streckt sich mit einer unendlichen eiweißspiralkette zu seinem ewigen wunschobjekt zu dem feucht rieselnden mond, verliert einige molekülenteile auf dem weg und degradiert bis zum prokaryontenzustand. nach den einzelnen organismen streckt sich auch der binnensee in langen glänzenden saiten zum firmament. das umgestülpte ozeansleib bricht aus den falten aus und verbreitet sich durch die schwüle atmosphäre voll ausdämpfungen und rückfälle; der dunkle mond saugt sonnenreste ein – die leeren kohlen die grünen malteser kreuze die scherben der triebstangen und der kurbelwellen; es schwellt und wird zu einer salzig-bitteren meeresqualle deren schleim sich über einige parsec zum ozeanischen boden ausstreckt. die hirnwände verändern ihre umrisse die bisher an manchen stellen herausragten und an den anderen zurücksprangen; der binnensee wird vollständig von der sonne eingesaugt; die haut der wesen beklebt die himmelkörper; die gelenke und schiffchen schwimmen wie kleine metallstücke los durch die wasserweiten und hinterlassen nur eine spur oxyd. die zitternden schnürchen der komplexen eiweißzusammensetzungen schimmern verflochten miteinander kriechen über die fläche der binnenfluren und umrahmen die deckenlampen; die einschienenbahn mit der tags die sonne und nachts der mond zirkulierten dehnt sich zu einer blechernen aminosäurespirale aus und schließt sich dem gesamtknäuel an. von allen seiten her streben härchen und faser zu einem zentrum; sie krümmen sich und werden in eine zähe riesenkugel hineingeflochten; sie hängt von den dicken augennervenseilen im gehirn ab und schillert ruhig mit der glatten regenbogenfarbenen oberfläche; in ihrem inneren verflechten und verschmelzen sich die molekülen und werden geschnitten und zusammengeklebt; es fliegen wilde heimatlose zellenkerne wie geschwänzte kometen herum und eine unvorstellbare vitoreaktion drückt das tote fleisch zu einem brennenden knoten zusammen. die kugel wird dicht. der schlaf des gehirns wird zu einem undeutlichen alptraum. unter dem wachsenden gewicht spannen sich die nervenseile und tun der augenlinse weh. das gehirn setzt sich langsam und fällt in sich selber zusammen. ein anteil der nervenzellen wird mit in die kugelreaktion hineingerissen und verursacht einige sonnenflecken und zischende protuberanzen die von ihrer oberfläche wegfliegen wie blitze aus dem gewittergewölk. die gaswölkchen schweben über den explosionen kitzeln von innen die nasenflügel des protokörpers und drohen ihn auf diese weise zu wecken. die kugel wird noch dichter. noch einige nervenzellen strecken ihre synapsen zu der gewellten aufgespannten oberfläche. ein kern traums fällt in die gewellte trübe und vergeht am nullpunkt in einem goldenen trichter der silberne dämpfe erzeugt; die durchbohrte kugel wird von einer fraktalkette aus wirbelnden trichtern gesprengt durch die löcher scheint das sublimierte licht in einer fraktalexplosion schießen die unter druck geschmolzenen gase in die hirnwände los und die gasförmigen fliegenden phytoneotechnoformen spiegeln sich in den schatten der zerebrale raum mit dem niedrigen druck saugt in sich das rückenmark und die wirbelsäule ein umkehrt die schlafoberfläche und sein ganzer körper fällt aus auf den harten gelben dendritboden des wachwerdens die thermonukleare rattenförmige wolke aus den überresten der protohelden und des urozeans der mechanischen proproteinbesinnung streut sich über die ganze äußere stereometrie

 

 

und der traum wird zerstäubt

 

 

der überhitzte trockene stern

 

 

der traum ist eine viruskugel ein kleines stacheliges objekt in all seinem kosmischen glanz vieler neomonde

 

 

die uhrzeiger

 

 

die erste nicht kalte zeitausstrahlung

 

 

eine protoform des menschlichen schlafs umhüllt die zifferlosen zifferblätter mit einer nebula aus verstreutem sternnebel

 

 

und schon – die neuen meere und weltlgegenden. ein menschenaffe erfand ein rad. ein mensch erfand amor matris. aus dem ozean tauchte der kopf der sonnenuhr auf. es wurde nacht. der gelblich blaue sand fing an zu rieseln.